Kommunale Intelligenz – So versteht das Bürgerforum Politik für die Bürgerschaft.
Eine Übersetzung der Thesen des Gehirnforschers Gerald Hüther von Sigrid Beyer, Bürgerforum Hemmoor, in das Politikverständnis des Bürgerforums. Sein Buch „kommunale Intelligenz, Potentialentfaltung in Städten und Gemeinden“ sollte für jeden „Kommunalo“ Pflichtlektüre werden.
Unsere Gesellschaft befindet sich derzeit in einem Wandlungsprozess.Traditionelle Familienstrukturen, insbesondere die dafür typische Großfamilie, lösen sich immer mehr auf, und die bisher dort herrschenden sozialen Erfahrungsräume gehen zunehmend verloren.
Städte, Dörfer, Gemeinden laufen immer mehr Gefahr, ihre Eigenständigkeit zu verlieren und können das, was sie leisten sollen nicht mehr leisten. Besonders kleine Kommunen außerhalb der industriellen Zentren – wie hier in unserer Region geraten unter finanziellen Druck. Auch die Samtgemeinde und die Stadt Hemmoor sind betroffen von sozialen und ökonomischen Problemen und den daraus resultierenden Einsparungs- und Effizienzverbesserungsentwürfen. Hinzu kommt, dass jüngere Bürger abwandern um Arbeit und Glück woanders zu finden. Nachwuchsmangel in Vereinen, die medizinische Versorgung wird ausgedünnt und für Ältere gestaltet sich das Leben zunehmend schwierig.
Albert Einstein hat einmal gesagt, dass die Probleme, die wir mit bestimmten Strategien und Denkmustern erzeugt haben, sich nicht mit denselben Denk- und Vorgehensweisen beheben lassen.
Dass es nicht so weitergehen kann wie bisher, dass es kein grenzenloses Wachstum gibt und die Ressourcen begrenzt sind, haben namhafte Wissenschaftler immer wieder betont. Man denke nur an das Manifest des Club of Rome bereits 1972 – hat sich etwas viel verändert?
Ein Umdenken ist nötig – und das beginnt buchstäblich im Kopf.
Und in der Tat, unser Gehirn hat – wie Neurobiologen es formulieren – tatsächlich längst eine Lösung gefunden, um trotz des durch unsere Schädeldecke begrenzten Wachstums dennoch weiter wachsen und sich auch zeitlebens weiter entwickeln zu können. Das geschieht nicht durch Vermehrung der Anzahl an Nervenzellen, sondern durch Intensivierung, Ausweitung und Verbesserung ihrer Verknüpfungen, also durch fortwährende Optimierung der Beziehungen zwischen den Nervenzellen.
Man kann dies auf die Kommunen übertragen: dann bedeutet es Weiterentwicklung und echtes Wachstum und zwar durch eine günstigere Art des Umgangs miteinander: durch intensivere, einander unterstützende, einander ermutigende und inspirierende Beziehungen aller in einer Gemeinde, Dorf oder Stadt lebenden Bürger. Wir brauchen eine neue Kultur des Umgangs miteinander, in der jeder einzelne spürt, dass er gebraucht wird, dass alle miteinander verbunden sind, voneinander lernen und miteinander wachsen können.
Den Kommunen wächst eine Aufgabe zu
Vor allem Kindern und Jugendlichen wird es gegenwärtig immer schwerer, die für ihre gesunde Entwicklung notwendige Erfahrung zu machen, dass sie mit ihren besonderen Begabungen, ihrem jeweiligen Wissen, ihren individuell erworbenen Fähigkeiten für die Sicherung des Fortbestands und die Weiterentwicklung der gesamten Gemeinschaft gebraucht werden.
Wenn Familien solche Erfahrungsräume nicht mehr bieten können, müssten sie von jenen Gemeinschaften übernommen werden, in die Familien eingebettet sind, also von den jeweiligen Kommunen, in die Kinder und Jugendliche hineinwachsen. Damit wächst den Kommunen eine Aufgabe zu, für die sie sich bestenfalls am Rande zuständig fühlten.
Kommunen sind deshalb Erfahrungsräume für den Erwerb sozialer Kompetenzen und die Herausbildung von Gemeinsinn.
Menschen können die in ihnen angelegten Potentiale nur innerhalb einer Gemeinschaft entfalten, der sie sich zugehörig, der sie sich verbunden, sicher und geborgen fühlen.
Die wichtigste Erkenntnis der Hirnforschung in den letzten Jahren ist: unser Großhirn ist ein sozial geformtes Konstrukt. Die dort entwickelten neuronalen Netzwerke und synaptischen Verschaltungen sind in dieser jeweils individuellen besonderen Weise nur deshalb entstanden, weil es andere Menschen gab, mit denen wir in Beziehung getreten sind. Besonders prägend waren dabei all jene sozialen Erfahrungen, die wir in einer engen emotionalen Beziehung zu anderen Menschen gemacht haben.
Der Mensch, ein soziales Wesen, ist angewiesen auf andere und geformt durch andere.
Die Kommune ist der Erfahrungsraum, in dem soziales Leben eingeübt wird.
Die Kommune, also die Gemeinschaft, in die jede Familie eingebettet ist, ist der Ort, an dem Kinder und Heranwachsende lernen, worauf es im Leben ankommt, wie man gemeinsam mit anderen sein Leben gestaltet, wie man seinen Teil von Verantwortung für dieses Zusammenleben übernimmt.
Zu diesem Erfahrungsraum gehören Schulen, Betriebe, Organisationen, Vereine.
Wenn Kommunen oder ihre kleineren Einheiten, die Familien, aufhören, diesen sozialen Lernraum bewusst zu gestalten, verliert die betreffende Gemeinschaft ihr psycho-emotionales Band, das ihre Mitglieder zusammenhält. Solche Gemeinschaften zerfallen von innen heraus. Und dieser Prozess vollzieht sich schleichend und unsichtbar in den Köpfen der heranwachsenden Mitglieder und tritt auch nach deren Erwachsenwerden nicht offen zutage.
Er beginnt in den Familien und breitet sich auf die Kommune aus, in denen diese Familien leben und äußert sich in Verhaltensweisen, die nicht mehr am Wohl und Wehe der jeweiligen Gemeinschaft orientiert sind, sondern nur noch an eigenen Interessen und Zielen.
Fähigkeiten sind uns nicht automatisch in die Wiege gelegt, sie können nur durch eigene Erfahrungen erworben werden.
Um ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten und ihre Potentiale zu entwickeln brauchen Heranwachsende die Fähigkeit, sich in andere hineinzufühlen (Empathie), vorausschauend zu denken und planen (strategische Kompetenz), eigene Gefühle zu verstehen und der Situation angemessen zu reagieren (Affektkontrolle), die Folgen des eigenen Handeln einzuschätzen (Sozial- und Handlungskompetenz), subjektive Einschätzungen von objektiven Sachverhalten zu unterscheiden (Einsichtsfähigkeit, Problemkompetenz).
Daher brauchen Kinder und Jugendliche möglichst vielfältige Gelegenheiten, um am eigenen Leib spüren zu können, wie es sich anfühlt, Herausforderungen zu meistern, Ängste zu besiegen, Niederlagen zu ertragen, aus Fehlern zu lernen: Sie brauchen auch die Erfahrung, miteinander etwas zu entdecken und zu gestalten, füreinander einzustehen und aufeinander Rücksicht zu nehmen.
Der geeignete Ort, an dem dies geschaffen und zur Verfügung gestellt werden kann ist nicht die Schule, sondern die Kommune.
Wer also genau das fördern möchte und wem die Entwicklung dieser Lebenskompetenzen am Herzen liegen, der erkennt, dass es dafür neben liebevollen, respektvollen Vorbildern und Begleitern vor allem Räume braucht, in denen diese Erfahrungen gemacht werden können; Erlebnisräume, Freiräume, Erfahrungsräume.
Denn nur eigene Erfahrungen strukturieren das Gehirn, führen zu inneren Einstellungen und Haltungen dem Leben, den Menschen, sich selbst und der Gemeinschaft gegenüber.
Neben den notwendigen Freiräumen für das eigene Erfahrungslernen brauchen junge Menschen ernsthafte Angebote zur aktiven Mitgestaltung unseres gegenwärtigen Zusammenlebens.
Da unsere Welt sich derzeit in rasendem Tempo verändert, brauchen Kinder und Jugendliche in dem Wirrwarr von Anforderungen, Angeboten und Erwartungen Orientierungshilfen, äußere Vorbilder und innere Leitbilder, die ihnen Halt bieten, an denen sie ihre Entscheidungen ausrichten.
Das gelingt nur unter folgenden Bedingungen wenn:
· Kinder in einer Welt aufwachsen, in der die Aneignung von Wissen und Bildung einen Wert besitzt.
· sie die Gelegenheit bekommen, sich aktiv an der Gestaltung der Welt zu beteiligen.
· sie ausreichend Freiräume finden, um ihre eigene Kreativität spielerisch zu entwickeln.
· sie nicht mit Reizen überflutet, verunsichert und verängstigt werden.
· sie nicht daran gehindert werden, eigene Erfahrungen bei der Bewältigung von Schwierigkeiten und Problemen zu machen.
· sie vielseitige Anregungen erfahren und mit ihren spezifischen Bedürfnissen und Wünschen wahr genommen werden.
Kinder wertschätzen, ermutigen und unterstützen kann jeder, wenn er das will!
Der Ort, wo den Kindern und Jugendlichen diese Erfahrungen ermöglicht werden können ist die Kommune. Um Kinder großzuziehen braucht es ein ganzes Dorf, sagt man in Afrika. Je unterschiedlicher die Menschen sind, die dort leben, desto reichhaltiger wird das Spektrum der Möglichkeiten, das Kinder und Jugendliche dort vorfinden, um sich mit ihren jeweiligen Begabungen und Interessen jemanden zu suchen, der ihnen zeigt, wie etwas geht. Dann könnten sie erfahren, mit ihren besonderen Talenten und den erworbenen Fähigkeiten, dem bisher angeeigneten Wissen in besonderer Weise zum Gelingen von etwas beizutragen, was nur in einer gemeinsamen Anstrengung gelingen kann.
Vielen Kommunen ist der gute Geist ist abhanden gekommen.
Es kommt vor, dass sich Mitglieder einer Familie oder Kommune nicht mehr vorrangig um das kümmern, was ursprünglich Sinn und Zweck ihrer Gemeinschaft war. Dann verflüchtigt sich der gute Geist und an dessen Stelle tritt manchmal der „Verwaltungsgeist“, d.h. die einzelnen Mitglieder werden nur verwaltet, umher geschoben, benutzt. Die gemachten Erfahrungen verfestigen sich zu der inneren Einstellung und Haltung: die Gemeinschaft und deren Wohl wird ihnen zunehmend egal und schließlich versucht jeder nur noch seine Ziele zu verfolgen. So eine Gemeinschaft mag noch funktionieren, aber sie entwickelt sich nicht mehr weiter, ist weit davon entfernt, ihre Potentiale zu entfalten.
Erinnert das nicht auch ein bisschen an unsere Stadt und Samtgemeinde?
Aus einer Problembewältigungs- wurde eine Besitzstandswahrungsgemeinschaft
Aus einer ursprünglichen Problembewältigungsgemeinschaft, wo jeder sich als kleines Rädchen im großen Getriebe erlebte, um die Herausforderungen (Wasserversorgung, Küstenschutz, Urbarmachung etc.) zu meistern und mit dem Gefühlt dazuzugehören, wurde eine Besitzstandswahrungsgemeinschaft, d.h. durch den Fortschritt vermehrte sich das materielle Hab und Gut der Kommune und ihrer Mitglieder, bei manchen erheblich, bei manchen weniger. Diesen Besitzstand gilt es fortan zu wahren.
Auch die geistigen Werte sind nun auf einmal Besitztümer, die es zu wahren gilt.
Es geht um die Sicherung von Positionen, nicht mehr um die Lösung gemeinsamer Probleme. Je größer der Besitzstand, desto stärker die Bemühungen, ihn zu wahren.
Diejenigen, die in solche Familien und Kommunen hineinwachsen, machen sehr früh die Erfahrung, dass es offenbar wichtiger ist, seine eigene Position zu bewahren, als gemeinsam Probleme zu lösen, die alle betreffen. Diese Haltung bestimmt die Beziehungen zu den anderen Mitgliedern. Das Ziel der Besitzstandswahrung ist wichtiger geworden als die Entfaltung all dessen, was aus ihnen werden könnte.
So verliert eine Gemeinschaft ihre Vitalität und Entwicklungspotential.
Das kommunale Zusammenleben müsste revitalisiert werden.
Das Bestreben nach Bequemlichkeit und Besitzstandswahrung hat einen entscheidenden Nachteil: es wird in einer Kommune nur das noch verstärkt und verbessert, was entweder dem einen oder dem anderen Zweck dient.
Das ist aber keine Weiterentwicklung, sondern nur die Bewahrung und Verbesserung, was bisher schon versucht wurde nach dem Motto: „noch mehr vom Alten“.
Das bedeutet jedoch, dass sich eine Kommune nicht wirklich verändert.
So weiterzumachen wie bisher ist keine besonders zukunftsfähige Strategie, im Gegenteil, sie wird zur Gefahr, wenn sich außerhalb der Kommune die Welt so schnell verändert, wie das gegenwärtig der Fall ist!
Eine Transformation der bisherigen Beziehungsstruktur ist nötig, eine Beziehung zu anderen Menschen, in der man sich gleichermaßen verbunden wie auch frei fühlt.
Es gilt also kreative und innovative Lösungen zu finden, um den künftigen Herausforderungen gewachsen zu sein. Das ist uns nicht unbekannt, denn ganz am Anfang unseres Lebens haben wir erfahren, dass es möglich ist, aufs Engste mit einem anderen Menschen verbunden zu sein und doch jeden Tag ein Stück über sich hinauszuwachsen.
Wir müssten also nur etwas wiederfinden und in unseren Kommunen wiederherstellen. Im Taumel der ständigen Bewältigung von Krisen und Problemen haben wir etwas verloren: den Mut unser Zusammenleben und unsere Beziehungen so zu gestalten, dass sich die in jeder menschlichen Gemeinschaft und jedem einzelnen Menschen angelegten Potentiale auch wirklich entfalten können. Mit all dem Wissen und den bisher erworbenen Fähigkeiten müssten wir unsere Beziehungen umgestalten und öffnen, so dass wir nicht länger auf Kosten der anderen leben, sondern mit ihnen gemeinsam.
Es ist die Frage, was die Anziehungskraft einer Kommune ausmacht und wie diese Attraktivität gesteigert werden kann.
Dazu ist auch eine verbesserte Kommunikation erforderlich und dazu tragen bei: z.B. Mitteilungsblätter der Gemeinde; Öffnung von Entscheidungsgremien für interessierte Bürger; Nutzung moderner Medien zur Bürgerinformation; Schaffung von Foren für Austausch und Kommunikation u.ä.m.
Eine Verbesserung der Bürgerbeteiligung bei Planung und Umsetzung kommunaler Vorhaben, Möglichkeiten für ein aktives Engagement der Bürger schaffen günstige Voraussetzungen für die aktive Teilnahme.
Die Schaffung von Gelegenheiten und Räume für Begegnungen und Austausch, für gemeinsamen Tun und Erleben, für gemeinsamen Entdecken und Gestalten – und zwar nicht nur für bestimmte Schichten, Interessen oder Altersgruppen – sondern schichten- bzw. herkunftsübergreifend, wie auch alters- und interessensübergreifend befördern den Gemeinsinn und das WIR-Gefühl in einer Kommune.
So entsteht eine Kultur des Voneinander-Lernens und Miteinander-Gestaltens.
Es gilt eine gemeinsame und attraktive Vision zu schaffen.
Jede Veränderung beginnt im Kopf und es ist schwer, alte Vorstellungen und Gewohnheiten loszuwerden, aber es ist möglich. Je zahlreicher und verschiedenartiger die Probleme einer Gemeinschaft werden, desto stärker wächst auch die Gefahr der Auflösung ihrer sozialen Struktur aufgrund eines fortschreitenden Verlustes des zusammenhaltenden Geistes.
Dem drohenden Kollaps kann nur begegnet werden durch den Versuch, eine gemeinsame, für alle in einer Kommune lebenden Menschen gleichermaßen gültige und attraktive Vision zu schaffen, ein Bild, das zum Ausdruck bringt, worauf es im Leben, im Zusammenleben und bei der Gestaltung der gemeinsamen Lebenswirklichkeit ankommt: Vertrauen, wechselseitige Anerkennung, Wertschätzung, das Gefühl und das Wissen, aufeinander angewiesen, voneinander abhängig und füreinander verantwortlich zu sein. Wir sitzen alle im gleichen Boot, leben in einer Welt begrenzter Ressourcen.
Eine Kommune wird zur individualisierten Gemeinschaft – für jeden Menschen heißt das, dass er, um seine Potentiale entfalten und weiterentwickeln zu können, auf Begegnung und Austausch mit anderen Menschen angewiesen ist.
In Zukunft kann nur noch eines wachsen: die Intensität unserer Beziehungen, das Gefühl von Verantwortung, das Ausmaß an Selbsterkenntnis und das Verständnis unserer eigenen Eingebundenheit in den Prozess der Evolution.
So wird eine Kommune zur individualisierten Gemeinschaft, in der es auf jedes einzelne Mitglied ankommt, wo jeder Einzelne die in ihm angelegten besonderen Begabungen entfalten und mit seinen Fähigkeiten zur Entfaltung der in dieser Gemeinschaft verborgenen Potentiale beitragen kann.
Möglicherweise ist es das Geheimnis solcher individualisierter Gemeinschaften, dass sie eine innere Organisation entwickeln, die der des menschlichen Gehirns in vieler Hinsicht sehr nahe kommt, welches zeitlebens lernfähig ist: Sie lernen durch Versuch und Irrtum, sie entwickeln flache, stark vernetzte Strukturen, sammeln Erfahrungen und passen ihre innere Organisation immer wieder neu an sich ändernde Rahmenbedingungen an.
Sich selbst optimierende kommunikative Vernetzungen zwischen den verschiedenen Organistionsebenen ermöglichen rasch, effizient und möglichst umsichtig und nachhaltig auf neue Herausforderungen zu reagieren.
Die Vielfalt neuer Ideen, die hervorgebracht werden, gibt wie ein Seismograf Auskunft über ihren inneren Zustand.
„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, das gilt für den einzelnen wie für die Kommune.
Wenn wir wissen wollen, wie spät es in unserer Stadt, unserer Samtgemeinde ist, brauchen wir nur die Kinder und Jugendlichen zu fragen, wer von ihnen später gern in unserer Kommune, wo er aufgewachsen ist, nach der Ausbildung dort leben, arbeiten und eine Familien gründen möchte.
Die Antworten werden die Augen öffnen für ein Problem, das wir lösen müssen.
Es mag spät sein, aber es ist nie zu spät für einen Kurswechsel.
Mit anderen Worten: wenn es so weitergeht und nichts getan wird in unserer Stadt, unserer Samtgemeinde, wird im Verlauf der nächsten Jahrzehnte sie zu einem Altersheim – dann würde alles, was dort je geschaffen und wofür man sich eingesetzt hat, jeden Wert verlieren und sinnlos werden.
Es gilt eine neue Beziehungskultur aufzubauen, eine Kultur geprägt von gegenseitiger Wertschätzung und Anerkennung der Bemühungen jedes einzelnen Mitbürgers. Eine Beziehungskultur, die das Anliegen von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt aller Überlegungen stellt und alle kommunalen Maßnahmen darauf ausrichtet, der nachwachsenden Generation die Möglichkeit zu bieten, sich mit dem, was in unserer Kommune geplant, entschieden und gestaltet wird zu identifizieren und sich dort beheimatet zu fühlen.
Es wird Zeit aufzuwachen, denn wir sind dabei genau das zu verlieren, was uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind:
Menschen, die gemeinsam von Generation zu Generation immer wieder ein Stück weit über sich hinausgewachsen sind, die voneinander gelernt und miteinander eine Lebenswelt geschaffen haben.
Eine Lebenswelt, die es uns ermöglicht hat, bisher ungeahnte, in uns Menschen angelegte Potentiale zu entfalten: Sprache und Kultur, Wissenschaft und Technik.
Dies ist nicht deshalb so, weil wir begabt sind, sondern weil es gelungen ist, Bedingungen zu schaffen, unter denen wir diese in uns angelegten Begabungen immer besser entfalten konnten, eingebunden in eine Gemeinschaft und immer mit dem Focus auf der nachwachsenden Generation, immer mit dem Bemühen um Verbesserung der Lebensperspektiven und Entfaltungsmöglichkeiten für die in die Gemeinschaft hineinwachsenden Kinder.
Community Education ist die entscheidende Triebfeder kommunaler Weiterentwicklung.
Heute nennt sich dieses Geheimnis unserer Erfolgsgeschichte „Community Education“ und dabei geht es um nichts anderes als um die Schaffung neuer Erfahrungsräume, die es den Kindern und Jugendlichen ermöglichen, sich als ein wichtiges Subjekt dieser Gemeinschaft zu erleben, als jemand, auf den es ankommt und ohne dessen Talente und Begabungen, Wissen und Können die Gemeinschaft nicht fortbestehen kann.
Sie macht die Kommune zur Keimzelle und Übungswerkstatt für die Herausbildung individualisierter Gemeinschaften.
Die eingefahrenen Denkmuster in eine neue Richtung lenken.
Es gilt dabei unsere eingefahrenen Denkmuster in Bezug auf das, worauf es bei der Entfaltung der Potentiale von Kindern und Jugendlichen ankommt zu öffnen und in eine neue Richtung zu lenken.
Anstatt sie in separaten Einrichtungen nach vorgegebenen Erziehungs- und Bildungsprogrammen zu unterrichten, müssten diejenigen, die diese jungen Menschen begleiten, sich ganz andere Fragen stellen als die, wie sie ihren Lehrplan erfüllen, z.B.:
· Welche kommunalen Themen oder Aufgaben könnten für Schülerinnen und Schüler sinnvoll sein und ihnen Gelegenheit zu Lernaktivitäten bieten, die für andere Menschen in der Kommune nützlich sind und die es ihnen ermöglichen, sich für das kommunale Leben und Arbeiten zu engagieren?
· Welcher schulische Lernstoff ließe sich ohne Weiteres mit einem kommunalen Thema oder einer kommunalen Aufgabe verbinden?
· Welche spezifischen Lernziele oder Lernstandards könnten über ein gewähltes kommunales Thema erreicht werden?
· Welche kommunalen Bedürfnisse und Aufgaben lassen sich über Schulprojekte in der Kommune erfüllen?
· Welche kreativen und herausfordernden Möglichkeiten in den Bereichen Musik, Kunst, Tanz, Film oder Theater eignen sich zur Bereicherung des kulturellen Lebens in der Kommune? Welche Möglichkeiten eröffnen sich in Bezug auf das spätere berufliche Leben in der Kommune? Wo können Schüler erste berufliche Erfahrungen sammeln?
Die nachhaltige Einbeziehung kommunaler Strukturen zur Erweiterung der Lernorte Kindergarten und Schule.
Solche Fragen eröffnen den Blick für ein neues Selbstverständnis von Schule und schulischer Arbeit. Bildung findet nicht in Unterrichtsstunden, sondern in den Köpfen der Schüler statt und die Lernorte der Zukunft sind nicht unsere Schulen und Klassenzimmer, sondern die von uns geschaffenen realen Lebenswelten, in die unsere Kinder und Jugendlichen hineinwachsen.
Denn was Menschen, vor allem junge Menschen prägt, ist nicht das Wissen, das sie sich aneignen, sondern die Erfahrungen, die sie machen oder zu machen gezwungen sind. Günstige Erfahrungen verdichten sich in ihrem Frontalhirn zu günstigen inneren Einstellungen und Haltungen.
Die nachhaltige Einbeziehung kommunaler Strukturen zur Erweiterung der Lernorte Kindergarten und Schule scheint in Deutschland allerdings noch nicht sehr verbreitet zu sein.
Es gibt zwar zahlreiche Projekte, deren Erfolg sich messen lässt, sie sind meistens durch Abrichtungs- und Dressurmethoden ergründet (Belohnung, Strafe u.ä.). Doch ist das, was gemessen wurde auch das, worauf es ankommt? Ein verändertes Verhalten auch wirklich Ausdruck einer veränderten inneren Haltung, einer anderen Einstellung? Das ist das grundsätzliche Problem aller in einer Kommune für Kinder und Jugendlichen durchgeführten Projekte und Maßnahmen: Das, was sie bewirken sollen, lässt sich nur schwer messen, und das was sich leicht messen lässt, ist meist nicht das, worauf es ankommt.
Kinder und Jugendliche müssten eine andere, eine günstigere Erfahrung machen.
Das Einzige, was Kindern und Jugendlichen helfen könnte, ihre bisher durch ungünstige Erfahrungen herausgebildeten ungünstigen Einstellungen und Haltungen zu verändern, ist die Gelegenheit, eine andere, eine günstigere Erfahrung machen zu können: mit sich selbst, mit anderen Menschen, in ihrer Familie, ihrer Peergroup oder eben innerhalb ihrer Kommune.
Die in die Kommune hineinwachsenden Kinder und Jugendliche müssten sich also eingeladen und ermutigt fühlen, eine neue, eine positivere Erfahrung mit sich selbst und anderen Menschen machen zu dürfen. Nicht machen, sondern machen lassen, nicht vorgeben oder gar vorschreiben, sondern finden lassen, nicht durchführen, sondern ermöglichen.
Kinder und Jugendlichen auf Augenhöhe begegnen
Aber wer Kinder und Jugendliche einladen will, sich auf etwas Neues einzulassen, der müsste ihnen auf Augenhöhe begegnen, müsste sie als kompetente Partner betrachten und ihnen etwas zutrauen. Der müsste auch überzeugt sein, dass eine einmal durch ungünstige Erfahrungen entstandene innere Einstellung und Haltung veränderbar ist.
Nur wer davon überzeugt ist, dass jedes Kind mit besonderen Talenten und Begabungen zur Welt kommt, die entdeckt und erweckt werden können, kann Kinder und Jugendliche dazu ermutigen, herauszufinden, wozu sie in Wirklichkeit in der Lage sind.
Sich um die Kinder und Jugendlichen kümmern.
Wenn sich die erwachsenen Mitglieder einer Kommune nicht um diese in die Gemeinschaft hineinwachsenden Kinder und Jugendlichen kümmern, sich nicht bereitfinden, so liegt das nicht an ihrer mangelnden Fähigkeit, sondern an ihrer mangelnden Bereitschaft, sich um diese Kinder und Jugendlichen zu kümmern. Und diese mangelnde innere Bereitschaft wiederum ist Ausdruck ihrer durch eigene ungünstige Erfahrungen entstandenen inneren Einstellungen und Überzeugungen.
Aber auch hier gilt: solche einmal entstandenen und im Frontalhirn verankerten inneren Einstellungen und Haltungen sind veränderbar – auch im Erwachsenenalter.
Was zukunftsfähige Kommunen brauchen ist ein Kulturwandel,
der die bisherige Art des Zusammenlebens grundsätzlich verändert: Immer mehr Mitglieder der Kommunen müssten spüren, dass sie mit allen anderen auf eine gewisse Art und Weise verbunden sind, sie müssten wieder spüren, dass jedes Mitglied dazugehört und gebraucht wird, um dieses Zusammenleben zu gestalten.
Alle gemeinsam müssten sich darum bemühen, ihre Kommune zu einem lebendigen Ort des Voneinander-Lernens und Miteinander-Gestaltens der dort vorhandenen Möglichkeiten werden zu lassen. Man kann diesen Wandel nicht machen, aber man kann günstige Rahmenbedingungen dafür schaffen, damit er in Gang kommt.
Beziehungsmuster in Form von starren Verwaltungsstrukturen
Wer sich mit offenen Augen in unserer gegenwärtigen Welt umschaut, wird schnell bemerken, dass sich nicht nur in Kommunen, sondern auch in allen anderen Bereichen unseres Zusammenlebens – in Schulen, Unternehmen, Organisationen, in Kirchen und sogar der Politik – Beziehungsmuster in Form von starren Verwaltungsstrukturen herausgebildet haben, die überall dazu führen, dass als dringend notwendig empfundene Veränderungsprozesse nicht in Gang kommen.
Vor allem in den besonders gut durchorganisieren Bereichen unseres Zusammenlebens wird deutlich, dass die auf diese Weise verwalteten Personen sich immer stärker als Objekte oder Opfer jener Strukturen erleben.
Je weniger Gestaltungsspielraum ihnen in ihren Arbeits- und Lebensbereichen noch bleibt, desto leichter geben sie die Verantwortung für eine eigenständige Gestaltung ihres Lebens und Arbeitens an die jeweiligen Verwaltungen und Organisationen ab.
Hin zu einer selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Gestaltung des Lebens und Zusammenlebens.
Aber es ist möglich, eine neue, günstige Beziehungskultur aufzubauen und dieser Trend breitet sich immer weiter aus: weg von tradierten, durch Vorschriften und Verwaltungsmaßnahmen organisierten Formen des Zusammenlebens und hin zu einer selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Gestaltung des Lebens und Zusammenlebens.
Dieser Trend zu einer anderen, für unsere Zusammenleben, unsere Gesundheit, unser Wohlbefinden günstigeren Beziehungskultur und der Entfaltung der in jedem Menschen angelegten Potentiale, wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen.
Eine Kommune ist ein lebendes System
Neben der Herausbildung einer neuen Lern- und Beziehungskultur in Kommunen gibt es noch eine weitere Herausforderung: unser bisheriges Verständnis der Entwicklung lebender Systeme bedarf ebenfalls eines Wandels. Und eine Kommune ist ein lebendes System, ebenso ein Unternehmen, eine Schule oder ein Sportverein.
Bislang glaubte man, dass für die Herausbildung eines lebenden Systems irgendwelche innere Programme – ähnlich wie eine Bauanleitung oder Verwaltungsstrukturen – verantwortlich sind.
In den letzten Jahren aber begann sich ein völlig anderes und neues Verständnis der Strukturierung und Organisation lebender Systeme abzuzeichnen: Alle lebenden Systeme sind intentional, d.h. jedes lebende System will etwas, im einfachsten Fall, sich selbst erhalten – und zu diesem Zweck muss es sich, wenn es sterblich ist, reproduzieren.
Das zentrale Paradigma des 21. Jahrhunderts.
In einer Welt begrenzter Ressourcen ist jedes lebende System gezwungen, den Energie- und Ressourcenverbrauch für sein Überleben und seine Reproduktion zu minimieren, indem es sich so optimal wie möglich selbst organisiert.
Dieses neue Verständnis der Strukturierung und Organisation lebender Systeme beginnt sich gegenwärtig auszubreiten und wird so zum zentralen Paradigma des 21. Jahrhunderts.
Diesen Prozess kann man nicht von außen durch irgendwelche Maßnahmen, Projekte oder Programme steuern oder organisieren. Man kann lediglich bestimmte Voraussetzungen und Rahmenbedingungen schaffen, dass sie sich in der Weise organisieren, wie man sich das wünscht.
Die zukünftige Entwicklung der Kommune liegt uns am Herzen.
Für eine Kommune heißt das: Das Zusammenleben und Zusammenwirken der dort beheimateten Menschen ist nicht durch Vorschriften und Verwaltungsmaßnahmen zu organisieren oder zu optimieren.
Es sind lediglich geeignete Voraussetzungen und Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass die Mitglieder der betreffenden kommune ihre Beziehungen so gestalten, dass sie ihr Zusammenleben als bereichernd empfinden, dass sie aufeinander zugehen statt sich voneinander abgrenzen, dass es ihnen Freude macht, an der kommunalen Weiterentwicklung mitzuwirken.
Dass ihnen die zukünftige Entwicklung ihrer Kommune am Herzen liegt und es ihnen ein tiefes inneres Bedürfnis ist, den in ihre Kommune hineinwachsenden Kindern und Jugendlichen die Erfahrung zu ermöglichen, dass sie mit ihren jeweiligen Begabungen und Talenten der eigentliche Schatz dieser Kommune sind, den es zu entdecken und zu entfalten gilt.
Eine Kommune, in der der das gelingt, verfügt über kommunale Intelligenz!
Kommunale Intelligenz heißt also nichts anderes, als gemeinsam über sich hinaus zu wachsen.
(Sigrid Beyer, Quelle: Gerald Hüther, Kommunale Intelligenz, Potentialentfaltung in Städten und Gemeinden; ISBN: 978-3-89684-098-1)